Unabhängige Studierende Leipzig

Wie bei vielen anderen Studierendenwerken legt man auch in Leipzig das Solidarprinzip zugrunde, und führt weiter aus, davon profitierten alle Mitglieder der Solidargemeinschaft, in besonderem Maße jedoch die Studierenden, die mehr als andere auf die Inanspruchnahme sozialer Unterstützungsleistungen angewiesen seien. Wie kann es also sein, dass ab dem Sommersemester Studierende in einer schwächeren wirtschaftlichen Situation für eine Leistung über den “Solidarbeitrag” mehr bezahlen sollen als beim eigenständigen Kauf, nur damit Studierende in einer wirtschaftlich stärkeren Situation diese merkbar günstiger erhalten können?

Was war passiert?

Ab dem Sommersemester soll das bisherige Semesterticket durch ein Deutschlandticket ersetzt werden, das aufs Semester heruntergerechnet 29,40 EUR monatlich kosten soll, allerdings nicht wie sonst möglich monatlich gekündigt werden kann, wenn man es nicht braucht. Auch wenn es zunächst vielleicht attraktiv klingt, hat man dabei aber offensichtlich übersehen, dass die Stadt Leipzig hier etwas schneller war mit der Solidarität und ein monatlich kündbares Deutschlandticket für 29 EUR monatlich ermöglicht für alle, die einen Leipzig-Pass (Sozialpass der Stadt Leipzig) haben. Unter plausiblen Annahmen (max. 20 Stunden Wochenarbeitszeit neben Vollzeitstudium, SHK-Stellen zum Mindestlohn, übliche Mietkosten in Leipzig) hätte hier ein Großteil der Studierenden bereits Anspruch und daher keinen Bedarf an einem unflexibleren Ticket für 40 Cent mehr.

Dass das Solidarmodell nicht nach Belieben dehnbar ist und insbesondere im Kontext des Deutschlandtickets genau betrachtet werden muss, ist schon länger bekannt. Wenn ein Semesterticket verpflichtend gekauft werden muss, darf kein Missverhältnis zwischen Pflichtbeitrag und dem Vorteil für alle Studierenden bestehen. Einen genügend großen Vorteil haben Verwaltungsgerichte z.B. bei einem Preisvorteil von 64% oder 85% gesehen. Ob die lediglich 40% Ersparnis zwischen regulärem Deutschlandticket und Semester-Deutschlandticket genügen, damit ein Pflichtticket verhältnismäßig ist, müssten erst noch die Gerichte klären. Aber ein Semesterticket, das für viele Studierende schlichtweg teurer ist als die gleiche Leistung, wenn sie sie eigenständig von den Verkehrsbetrieben buchen würden, ist überhaupt kein Vorteil.

Da statt einer Abstimmung mit den Studierenden (ausweislich der Protokolle fand zuletzt vor über eineinhalb Jahren eine Sitzung des Semesterticketausschusses statt!) bereits Tatsachen geschaffen wurden und auch die vom Studentenwerk Leipzig angestoßene Umfrage zur Zukunft des Semestertickets jegliche Erwägungen hinsichtlich einer tatsächlich solidarischen (im ursprünglichen Wortsinne und entsprechend der eigenen Proklamationen des Studentenwerks) vermissen lässt, bleibt für alle, die hier nicht zustimmen, die Möglichkeit, der Entscheidung zu widersprechen. Dazu wird hier ein Musterschreiben bereitgestellt:

Musterschreiben Widerspruch unsolidarisches Semesterticket

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit widerspreche ich der Festsetzung eines Pflichtbeitrages von 176,40 EUR für ein Semester-Deutschlandticket im Sommersemester 2024. Hilfsweise beantrage ich die Rückerstattung bzw. Befreiung hinsichtlich des Pflichtbeitrages.

Ein Pflichtbeitrag für den Personenverkehr kann nach dem Solidarmodell erhoben werden, wenn sich daraus eine deutlich günstigere Nutzungsmöglichkeit ergibt (BVerwG, 12.05.1999 – 6 C 14.98). Die Verwaltungsgerichte sind bislang beispielsweise davon ausgegangen, dass eine Preisersparnis von 64% oder 85% deutlich günstiger und der Pflichtbeitrag damit verhältnismäßig ist. Ob die hier erzielte Preisersparnis von gerade einmal 40% gegenüber einem deutschlandweit bei verschiedenen Unternehmen erhältlichen Deutschlandticket dafür ausreicht, kann bereits als fraglich betrachtet werden.

Hier in Leipzig stellt sich die Situation jedoch sogar deutlich schlechter dar. Für Inhaber des Leipzig-Passes ist ein monatlich kündbares Deutschlandticket für 29 EUR erhältlich. Im Hinblick auf häufig anzutreffende Konstellationen mit 20 Stunden wöchentlich verbleibender Arbeitszeit neben einem Vollzeitstudium, Bezahlung zum Mindestlohn für studentische Hilfskräfte und ortsübliche Mieten wird hier ein großer Teil der Studierenden Anspruch haben. Damit ergibt sich tatsächlich kein Vorteil, sondern ein Nachteil von 40 Cent monatlich gegenüber dem günstigsten konkurrierenden Nahverkehrsangebot durch die Erhebung des Pflichtbeitrages.

Zudem widerspricht die Erhebung des Pflichtbeitrages der eigenen Begründung des Studentenwerks für das hier anzuwendende Solidarprinzip: “Davon profitieren alle Mitglieder der Solidargemeinschaft, in besonderem Maße jedoch die Studierenden, die mehr als andere auf die Inanspruchnahme sozialer Unterstützungsleistungen angewiesen sind.” ([1]) Das hier umgesetzte Modell verlangt von Studierenden, die mehr als andere auf die Inanspruchnahme sozialer Unterstützungsleistungen angewiesen sind, eine Zusatzbelastung von 40 Cent ohne Gegenleistung in Kauf zu nehmen, um diejenigen Studierenden profitieren zu lassen, die nicht auf die Inanspruchnahme sozialer Unterstützungsleistungen angewiesen sind. Ein Eingriff in die Handlungsfreiheit der Studierenden, hier geschehen durch einen hohen Pflichtbeitrag, erfordert jedoch eine Begründung. Da bisher gegebene Begründung hier nicht zutrifft, wäre es in jedem Falle erforderlich, dass die Pflicht zur Beitragszahlung für eine anderswo günstiger erhältliche Leistung nach verwaltungsrechtlichen Maßstäben begründet wird.

Nach alledem ist ein Pflichtbeitrag für ein Semester-Deutschlandticket im Sommersemester weder ausreichend begründet noch verhältnismäßig, und daher abzulehnen.

Mit freundlichen Grüßen

studierende Person

[1] https://www.studentenwerk-leipzig.de/solidarprinzip/

Ein Wink für die Verantwortlichen

Das Ganze kann dann zunächst das Rechnungswesen des Studentenwerks bearbeiten. Um Nachteile zu vermeiden, ist es ratsam, den Semesterticketbeitrag trotzdem zunächst zu bezahlen (sollte je nach Hochschule ohnehin bereits geschehen sein). Wer das Geld dringend benötigt, sollte eher die Möglichkeit prüfen, zusätzlich zum Widerspruch einen Eilantrag zu stellen.

Nachdem die Verantwortlichen es offensichtlich nicht für erforderlich hielten, vorab gemeinsam mit den Studierenden abzuprüfen, ob ihr Vorhaben sinnvoll ist, bleibt zu hoffen, dass mit diesem Wink wieder ein Anreiz geschaffen wird, eine Lösung zu suchen im ursprünglichen Sinne des Solidarprinzips.

Update 24. September: Für viele Studierende letztmalig die Möglichkeit, sich den Leipzig-Pass zu sichern – dann reicht er noch für fast zwei Semester

Update 29. September: Ein aktualisiertes Musterschreiben ist online

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Wozu gibt es eine Studierendenvertretung, wenn diese in erster Linie als Sprachrohr für Entscheidungen der Hochschule auftritt?

Diese Frage stellte sich in den letzten Jahren hier in Leipzig immer häufiger. Statt für die Belange der Studierenden einzutreten, verweisen gewählte Studierendenvertreter unkritisch an die Personen aus Hochschule oder Studierendenwerk, die die jeweiligen Entscheidungen getroffen haben. Oder Entscheidungen, die die studentische Mitbestimmung schwächen, werden gar verteidigt.

Als etwa das Studierendenwerk entschied, in den Mensen die Essensmitnahme nicht mehr barrierefrei zu ermöglichen, betraf das an erster Stelle die Studierenden. Fragte man aber beim zuständigen Referat des Studierendenrats nach, gab es keine Spur von Problembewusstsein. Mit Fragen solle man sich an das Studierendenwerk wenden. Was eben die Frage aufwirft, wozu es dann eine Interessenvertretung der Studierenden gibt. Das Studierendenwerk kann die nicht ersetzen, hat es doch aufgrund der Parität im Verwaltungsrat auch die Interessen der Hochschule und der Stadt gleichgewichtig zu berücksichtigen.

Das Beispiel machte Schule. Nachdem bei den Mensen die Studierendenvertretung schweigsam geblieben war, bestand scheinbar kein Grund mehr, das Deutschlandticket für Studierende barrierefrei anzubieten. Auch wenn das ausgeschlossene Studierende bares Geld kostete, sah man im zuständigen Referat des Studierendenrats auch hier keinen Grund, für die Interessen der Studierenden aufzustehen.

Ab dem Sommersemester 2024 soll die bisher für Studierende vorgesehene Möglichkeit der Mitnahme von Fahrrädern oder eigenen Kindern in den öffentlichen Verkehrsmitteln abgeschafft werden. Auch hier ist an keiner Stelle erkennbar, dass die Bedürfnisse der Studierenden berücksichtigt oder auch nur abgefragt worden wären.

Es mag bequem sein, Ausgrenzung mitzutragen, solange man selbst nicht betroffen ist. Mit Studierendenvertretung hat das dann allerdings wenig zu tun, und am Ende schwächt es die studentische Mitbestimmung.

An dieser Stelle bleibt nur, zu informieren und zu vernetzen.

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